Clubfreunde

Clubfreunde

Es war unsere Zeit, wenn wir früh um vier quer über Wiesen und Felder von der Diskothek nach Hause liefen. Der Himmel, durchzogen von dünnen, hellblauen Bändern, öffnete sich für den neuen Tag. Mein Bruder hatte den Arm um meine Hüfte gelegt, ich spürte seine Hand auf meinem Rippenbogen durch meine dünne Bluse hindurch. Dunst und Schweiß der durchtanzten Nacht klebten noch an unseren Körpern. Er hatte mich in seine Lederjacke eingewickelt, um mich vor dem kühlen Morgenwind zu schützen. Ich lehnte meinen Kopf an seine Halsbeuge. Am Morgenhimmel züngelten rote Wolkenflammen und glühten wie unsere Wangen und unsere Körper die Nacht zuvor in der Diskothek.

Freitags trafen wir uns mit der Clique im Planet, der größten Diskothek in Nürnberg. Samstag und Sonntag fuhren wir Hunderte von Kilometern zu den Auswärtsspielen unseres geliebten FCN. Als der Club noch in der ersten Liga spielte, fuhren wir nach Hamburg zum HSV und jetzt, in der zweiten Liga, nach Sankt Pauli, genauso weit, um ihm in der Fankurve nahe zu sein. Mit unserem Slogan „Ich bereue diese Liebe nicht!“, geschrieben auf Spruchbändern, die wir wie Segel über unsere Köpfe schwenkten, taten wir ihm jedes Wochenende unsere Liebe kund. Es war nicht ungewöhnlich, dass auch bekannte Clubspieler ins Planet kamen. Sie tanzten Seite an Seite, Haut an Haut, mit ihren Fußballfans, so als ob sie ihresgleichen wären. Sie schwitzen, tobten und hechelten durch die Nacht, der Schweiß war der gleiche, der Körpergeruch auch, nachdem die Wirkung ihrer Deos nachgelassen hatte. Keiner von den Spielern wurde nach einem Autogramm gefragt, sie hatten ihre Starallüren zuhause gelassen, sie waren einer von uns.

Letzen Freitag war wieder einer da. Caroline genoss es in seiner Aura, in seinem Bann zu tanzen. Sie ließ ihre langen blonden Haare in seine Nähe fliegen, streifte seine muskulösen Oberarme, die vor Schweiß glänzten, und lachte und freute sich, dass dieser Fußballheld sie umgarnte. Sie ließ es geschehen. Er war ohne Freundin da. In der Musikpause schlürften sie Fruchtcocktails durch dicke schwarze Strohhalme und prosteten sich zu. Doch dann hielt Caroline Ausschau nach ihrer Clique und zog sich in die Ecke zu ihrem Bruder und ihren Freundinnen zurück. Kein Feuer anfachen, dachte sie sich, nur ein bisschen sonnen in der Größe, in der Bekanntheit dieses Stars. Am Grinsen ihrer Freundinnen merkte sie, dass sie ankam. Sie genoss die Aufmerksamkeit, die Blicke des Neides und der Sehnsucht.

Nach der Pause tanzte er wieder in ihrer Nähe.

„Kommst du mit mir nach Hause“, hauchte er während des Tanzens in ihr Ohr.

Sie schüttelte den Kopf und drehte sich tanzend von ihm weg.

Er kam wieder, dieses Mal von der anderen Seite.

„Bitte, komm doch mit, hast du nicht auch Lust?“, nuschelte er.

Caroline blieb stehen und starrte ihn an. „Du hast doch eine Freundin.“

„Die ist nicht da!“, gab er zur Antwort.

Caroline schüttelte den Kopf.

„Nein!“

„Ich geb` dir 2.000 für die Nacht“, hörte sie ihn sagen. Da begann ein Rauschen in ihren Ohren und schwindelig taumelte sie in die Ecke zu ihrer Clique zurück. Ihr Bruder fragte, ob alles okay sei, sie nickte. Erst zu Hause erzählte sie ihm, was vorgefallen war.

Am nächsten Freitag ging Caroline nicht mit.

„Wo hast du denn deine kleine Schwester gelassen, Frank?“, wollten seine Freunde wissen.

„Ihr geht `s nicht so gut“, murmelte er.

Es wollte keine rechte Stimmung bei ihm aufkommen. Als sein Freund ihn doch auf die Tanzbühne schleppte, sah er ihn: Da war er wieder, der fränkische Fußballstar, das war er doch! Dieses Mal mit Freundin. Sein Herz begann schneller zu schlagen, er begann zu schwitzen, trotz seines dünnen T-Shirts, und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Alles in Ordnung?“, fragte sein Freund.

„Geht scho`“, antwortete er. „Bring mir ein Bier mit.“

Die Musik machte gerade Pause und Frank wollte auf seinen Platz zurück, doch da drängte ihn eine innere Kraft sich umzudrehen und er steuerte geradewegs auf den Fußballstar und dessen Freundin zu.

„Du übrigens, meine Schwester hat sich `s überlegt, für 10.000 geht sie mit dir nach Hause.“

„Was willst du?“, blaffte der Fußballstar ihn an. Seine Freundin schaute verwirrt zu ihm, dann zu ihrem Held und wieder zurück.

„Für 10.000 geht sie mit“, wiederholte Frank.

Der Fußballstar drängte sich jetzt an ihn heran und brüllte. „Lass mich in Ruhe, du Scheißkerl! Security! Belästigung, ich werde belästigt!“

Da spürte Frank schon den harten Griff einer eisernen Hand in seinem Nacken und eine andere, die seinen Oberarm ergriff. Er wurde zuerst nach hinten gezogen, dann von den vielen Händen gedreht, die Tür öffnete sich und er spürte, wie er durch einen wuchtigen Stoß Auftrieb bekam und zur offengehaltenen Tür hinaus auf den geteerten Gehsteig segelte. Er landete auf seinem Jochbein und spürte den Schmerz seiner aufgeschürften Handballen. Ihm war schwarz vor Augen und er wäre am liebsten liegen geblieben. Doch dann drückte er sich hoch, betastete mit der Hand das schmerzende Jochbein, schmeckte mit der Zunge den metallenen Geschmack von Blut in seinem Mund und fing an, die kleinen Schottersteinchen aus seiner aufgesprungenen Lippe herauszupulen. Ihm war kalt, er vermisste seine Schwester und er fing an wie im Trance nach Hause zu laufen, so wie jeden Samstag früh.

Auf den Wiesen und Feldern lag der Morgendunst und am Himmel waren wie immer die ersten Lichtstreifen des Tages zu sehen. Jeder Schritt schmerzte und er spürte das Blut aus seiner Nase tropfen, rot, so rot wie die Wolkenfetzen, die er am Himmel heraufziehen sah. Es waren züngelnde Flammen, wie von riesengroßen Fackeln, Fackeln des Sieges, die den Sieger den Weg nach Hause geleiteten. Er sah die schwarzen Silhouetten der Bäume und Sträucher und das schwarze Viereck von weitem, die Plakatwand dort am Schotterweg, wo er abbiegen musste, zur Siedlung seines Elternhauses hinauf. Sein Schritt wurde beschwingter, der Schmerz brannte wie Spiritus im Feuer und gab ihm das Gefühl, ja die Gewissheit, dass er heute, wenn auch der geschlagene, so doch der Held des fränkischen Fußballlandes war. Die Plakatwand wirkte von weitem wie ein Tor. Dort angekommen, schaute er zu den übergroßen Lettern hinauf und musste trotz seiner aufgeschlagenen schmerzenden Lippe schmunzeln. Dort stand die Botschaft geschrieben. 

„Ich bereue diese Liebe nicht.“      

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